Ein Einblick in

Die Neue Rechte

(und die Schweiz)

Seit den Corona-Massnahmen und dem Widerstand aus Teilen der Bevölkerung haben sich besonders in der Schweiz politische Debatten verändert. Bewegungen, Parteien und sogenannte Aktivistengruppen übernehmen die Sprache der extremen Rechten. Neonazis und andere Rechtsextreme gibt es in der Schweiz zwar schon länger. Neu zu sehen sind aber Strömungen aus einem vermeintlichen bürgerlichen bzw. rechtsnationalistischen Spektrum, die sich im Widerstand gegen alles und jeden befinden. Sei es die rechtslibertäre Mass-Voll-Bewegung, die Aufrecht-Partei oder die identitäre Gruppe Junge Tat, die Begriffe wie “Remigration” oder “Bevölkerungssaustausch” verwenden. Auch wenn die Schweiz seit über zwei Jahrzehnten eine fremdenfeindliche, rechtspopulistische SVP als grösste Partei kennt, so sind diese neurechten Begriffe ein Novum. Doch was bedeuten diese Wörter überhaupt? Und woher kommt diese sogenannte Neue Rechte? Dieser Beitrag versucht, diese Fragen und vieles mehr zu beantworten.

Section I

Die Neue Rechte

Ihre Entstehung, Ideologien, Vordenker und Gründer sowie Organisationen

Section II

Das Netzwerk der Identitären

Ihre Geschichte, Strategien, Kommunikation und ihre Neuausrichtung

Section III

Die Junge Tat

Ihre Historie, Köpfe, Aktionen und Ziele

Section IV

Perspektiven

Was gibt es für Gegenmassnahmen?

Im März 2019 stürmt Brenton Tarrant in eine Moschee in Christchurch, Neuseeland und tötet 51 Menschen.

Mit der Legende vom «Grossen Austausch» griff er Ideen der Neuen Rechten auf.

Sein Manifest wurde später auch in der Vorgängerorganisation der Jungen Tat geteilt.1

SECTION I

Die Neue Rechte

Die Thesen der Neuen Rechten haben längst Eingang in den Mainstream gefunden. Schlagworte wie Remigration, Bevölkerungsaustausch oder Kulturfremd wirken auf den ersten Blick anschlussfähig. Doch dahinter verbirgt sich eine extreme rechte Denktradition.

Das Jahr 1968: Seit vier Jahren kämpfen die USA erfolglos gegen die Nordvietnamesen. US-Präsident Lyndon B. Johnson verliert immer mehr an Popularität und politischer Glaubwürdigkeit, und die Proteste gegen den Krieg werden in den USA und Europa schärfer. 

Doch nicht nur gegen den Krieg protestiert die jüngere Generation: Sie kritisieren die vorherrschenden Wertvorstellungen sowie starren Strukturen und fordern grössere individuelle Freiräume und mehr politische sowie gesellschaftliche Mitbestimmung.

Doch nicht alle kämpfen für die gleiche Sache. Statt einer Neuen Linken wollen Ende der 60er Jahre einige französische Akademiker eine Neue Rechte ins Leben rufen. Mit Gleichgesinnten gründet Alain de Benoist 1968 die “Groupement de recherche et d’études pour la civilisation européene” oder kurz “GRECE”. Eine neofaschistische Denkfabrik, in der er eine ideologische Vorreiterrolle einnimmt. De Benoist will damit die unterschiedlichen rechten Strömungen zusammenführen. Er will eine langfristig angelegte Strategie: Eine Neue Rechte, die in die Köpfe der Menschen vordringt. In den vorpolitischen Raum, wie er sagt.2

Man gibt sich liberal, will die eigene rechtsextreme Vergangenheit vergessen lassen. Bis heute bildet GRECE Frankreichs geistiges Zentrum der Neuen Rechten. De Benoist und seine Mitstreiter wollen nichts weniger als eine Kulturrevolution von rechts.

Es war der italienische Kommunist Antonio Gramsci, der in den 20er Jahren forderte, das radikale gesellschaftliche Veränderungen in den Köpfen der Menschen beginnen müssen. Daran angelegt, entwickelt die Neue Rechte ihre Idee der Metapolitik. Dabei geht es um die öffentliche Meinung. Die Neue Rechte will mit ihren nationalistischen, rassistischen Parolen in die Medien und an die Schulen. Sie will mit Verbänden und Stiftungen die Stimmung in der Gesellschaft in ihrem Sinne kippen.3

Nach Gramsci geht es in westlichen Ländern um die Gewinnung von Macht. Das erreiche man, wenn der gemeinsame Konsens derjenigen, die herrschen, in der Gesellschaft gebrochen wird. Diese Gruppen umfassen Intellektuelle, Journalisten, Schulen, Kirchen, Gewerkschaften, Vereine und Künstler. Gramsci nannte das «Hegemonie», eine Art der Herrschaft, die nicht auf körperlicher Überlegenheit basiert, sondern auf der Macht der Interpretation und Ideen.

Die Neue Rechte versucht, Gramscis Ideen für ihre eigenen Ziele zu verwenden. Allerdings lassen sie wichtige Teile seiner Gedanken einfach weg, wie die wirtschaftliche Basis und deren Veränderungen, die für Gramsci sehr wichtig waren.

Benoist hingegen hat Gramscis Ideen auf eine andere Weise interpretiert. Er konzentriert sich auf eine Art elitäre Strategie. Dabei zielt er auf intellektuelle und mediale Eliten ab, anstatt, wie bei Gramsci, auf Arbeiterinnen und Arbeiter.4

Zunächst findet die Nouvelle Droite keine grössere politische Beachtung. Doch ihre Thesen sickern nach und nach in die Gesellschaft ein. Man proklamiert die Überlegenheit der europäischen Völker und begründet dies mit Theorien, wonach Begabungen sowie intellektuelle und physische Möglichkeiten von Geburt an vorbestimmt seien. Es sind Gedanken, die viele Jahre später auch vom deutschen SPD-Politiker Thilo Sarrazin in seinem Buch “Deutschland schafft sich ab” wieder aufgegriffen werden. Neurechte Thesen finden jetzt ihren Widerhall im bürgerlichen Lager. 5

Die Vordenker
Viele Ideen und Ideologien der Neuen Rechten beziehen sich auf die elitären und autoritären Denker der Weimarer Republik. Ein Schweizer steht dabei wie kein anderer im Mittelpunkt:  

Nach dem zweiten Weltkrieg und der Ablehnung nationalkonservativer Werte in Deutschland, möchte der in Basel geborene Publizist Armin Mohler dies wieder salonfähig machen. Er will einen starken autoritären Staat und zurück zu den Ideen der radikalen Rechten der Weimarer Republik. Gleichzeitig sucht er sie vom Vorwurf der Mitschuld an den Verbrechen der Nationalsozialisten zu befreien. 1948 erscheint sein Buch “Die konservative Revolution”. Mohlers Werk gilt bei den Anhängern der Neuen Rechte bis heute als Standardwerk. Ernst Jünger, Carl Schmitt und Oswald Spengler sind heute dank Armin Mohler Säulenheilige der Neuen Rechten. Es sind Männer, die der Demokratisierung der Gesellschaft skeptisch gegenüberstehen. 6

Armin Mohler (1920–2003). Foto: picture alliance

Schweizer Publizist Armin Mohler gilt bis heute als Vordenker und Netzwerker der Neuen Rechten. Auf die Frage, ob er Hitler bewundern würde, meinte Mohler: «Was heisst bewundern? Er hat immerhin eine richtige Führung geschaffen. Die Kader, die er heranzog, hatten Stil.»7

Ernst Jünger (1895–1998). Foto: Getty Images, Louis Monier

Schriftsteller Ernst Jünger bekämpfte die Weimarer Republik entschieden. Obwohl er der NSDAP nicht beitrat und deren rassistische Ideologie ablehnte, galt er nach 1945 als Wegbereiter des Nationalsozialismus und gehört zu den umstrittensten Autoren Deutschlands.8

Carl Schmitt (1888–1985). Foto: carl-schmitt.de

Jurist Carl Schmitt gilt als einer der wirkmächtigsten und zugleich umstrittensten deutschen Staats- und Völkerrechtler des 20. Jahrhunders. Schmitt trat ab 1933 für den Nationalsozialismus ein und wurde später Mitglied der NSDAP, der er bis zum Ende der NS-Herrschaft angehörte.9

Oswald Spengler (1880–1936). Foto: Hulton Archive/Getty Images

Oswald Spengler war als Schriftsteller auf geschichts- und kulturphilosophischem Gebiet tätig. Spengler lehnte den Nationalsozialismus und dessen Rassenideologie ab. Trotzdem gilt er vielfach als geistiger Wegbereiter des Nationalsozialismus.10

Obwohl der Konservativen Revolution keine einheitliche Ideologie zugeordnet werden kann, lässt sich eine Gemeinsamkeit der Vertreter ausmachen: Eine konsequente Anti-Haltung. Sei es antiliberal, antidemokratisch, antiparlamentarisch, antisemitisch, antimarxistisch, oder antihumanistisch.

Die Neue Rechte heute
Seit den 1990er Jahren schliessen sich verschiedene Personen und Gruppen der sogenannten «Neuen Intellektuellen Rechten» an, die hauptsächlich um die im Jahr 1986 gegründete Wochenzeitung «Junge Freiheit» versammelt sind. In der Mitte der 2000er Jahre wurde aus dieser Umgebung das Institut für Staatspolitik ins Leben gerufen. Dieses Institut betreibt einen eigenen Verlag namens «Edition Antaios» und publiziert die Zeitschrift «Sezession». Auf diese Weise versucht diese rechte Bewegungselite, eine intellektuelle Führungsrolle zu etablieren und Einfluss auf Entscheidungsträger und Mandatsträger zu gewinnen.11

Götz Kubitschek, der als Geschäftsführer und Redakteur des neurechten «Antaios-Verlags» und der Zeitschrift «Sezession» fungiert, sowie als Initiator der Kampagnen «Konservativ-subversive Aktion» und «Ein Prozent für unser Land» und als Konzeptionsleiter der rechtsextremen Identitären Bewegung ist die zentrale Figur der deutschsprachigen Neuen Rechten. Er unterhält enge Beziehungen zu Vertretern der AfD, wie etwa Björn Höcke.12

Sprachrohr der Neuen Rechten: Götz Kubitschek. Foto: Keystone, Jens Meyer

Die Ideologie
Rechtsextremisten der Neuen Rechten raunen vom „Grossen Austausch“ und fordern den Ethnopluralismus. Was sagen sie da eigentlich und was meinen sie damit genau?

Ethnopluralismus

Die Idee des Ethnopluralismus besagt, dass verschiedene Kulturen, Traditionen, Religionen und Sprachen getrennt voneinander existieren sollten. Die Neue Rechte argumentiert, dass sie mit dem Konzept des Ethnopluralismus den herkömmlichen Rassismus überwunden habe. Sie verwendet nicht länger den Begriff «Rassen», sondern spricht von «kulturellen Identitäten» und «Völkern», die als grundlegend unterschiedlich angesehen werden. Diese Gruppen werden zwar als prinzipiell gleichwertig betrachtet, jedoch sollten sie sich nicht vermischen. Personen, die nicht zur eigenen «ethnischen Gruppe» gehören, werden aufgefordert, das Land zu verlassen. Im Wesentlichen handelt es sich beim Ethnopluralismus jedoch um eine Form des «kulturellen Rassismus», die andere ausschliesst.13

Der Grosse Austausch

Die Ursprünge der Verschwörungserzählung des «Grossen Austauschs» lassen sich auf den französischen Autor Renaud Camus zurückverfolgen. Unter diesem Konzept versteht Camus den vermeintlichen Prozess eines Austauschs der Bevölkerung, den er liberalen und linken Eliten zuschreibt. Angeblich sollen diese Eliten die einheimische europäische Bevölkerung durch eine «Masseneinwanderung» von nicht-weißen Migrantinnen und Migranten ersetzen. Diese Erzählung nutzt eine doppelte Feindbild-Konstruktion, indem sie sowohl gegen äußere «Fremde» als auch gegen innere «Eliten» gerichtet ist. Der Begriff aktiviert dabei sowohl rassistische als auch antisemitische Vorstellungen. Häufig wird eine jüdische Verschwörung als Strippenzieherin des angeblichen Bevölkerungsaustauschs beschrieben.13

Remigration

«Remigration» stellt die Antwort der Neuen Rechten auf den Begriff des «Grossen Austauschs» dar und impliziert die Forderung nach einer ethnischen Reinigung. Dies würde durch eine umfassende Abschiebung von Personen mit Migrationshintergrund realisiert werden können.13
Wenn man etwas genauer hinschaut, unterscheiden sich die Begriffe der Neuen Rechten nur wenig vom klassischen Rechtsextremismus: Während einige «Ausländer raus» brüllen, sprechen andere von «Remigration». Inhaltlich kommt es auf dasselbe hinaus. Ähnliche Parallelen lassen sich auch bei anderen Themen feststellen. Die Neue Rechte steht für Flüchtlingsfeindlichkeit, Antifeminismus, Islamfeindlichkeit, Homo- und Transfeindlichkeit und ist in Teilen antisemitisch.3

Die Anhänger der Neuen Rechten setzen sich mit ihren ideologischen Grundgedanken gegen die Prinzipien der Aufklärung, insbesondere den Pluralismus und die Vorstellung von der Gleichheit aller Menschen ein. Diese Prinzipien bilden die Grundlage der universellen Menschenrechte.

In ihren Diskussionen verunglimpfen sie die Konzepte einer vielfältigen Gemeinschaft und verspotten Bestrebungen zur Gleichstellung. Stattdessen setzen sie auf die Entstehung von Eliten, die die Gesellschaft führen sollen.

Ähnlich wie die Vertreter der Konservativen Revolution in der Vergangenheit sehnen sich die Neuen Rechten nach einer Welt, in der männliche Werte und männliche Dominanz unhinterfragt herrschen. Sie betrachten die Demokratie als schwach und feminisiert, während sie die Gesellschaft als dekadent und dem Untergang nahe beschreiben. Aggressive, scheinbar männliche Tugenden werden verherrlicht. Die Rufe nach einem neuen Faschismus sind auffallend laut.

Die genannten Begriffe sind längst auch in konservativen, rechtspopulistischen und rechtsextremen politischen Kreisen angelangt. Besonders in den USA wird immer wieder vom angeblichen “Grossen Austausch” gewarnt. Sei es von politischen Grössen der Republikanischen Partei wie Donald Trump, Ted Cruz, Marjorie Taylor Greene oder von politischen Kommentatoren wie Tucker Carlson. Auch in Europa sprechen die Rechtsradikalen bzw. -extremen vom “Bevölkerungsaustausch”: In Frankreich sind dies unter anderem die Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen oder der Kandidat Eric Zemmour. In Deutschland die AfD-Politikerin Alice Weidel, Politiker Alexander Gauland, Björn Höcke etc. In Italien die Ministerpräsidentin Girogia Meloni oder Lega-Chef Matteo Salvini.14

Die rechtsextreme Verschwörungserzählung lässt sich ebenfalls bei Schweizer Politikern finden:

Präsident der identitären Mass-Voll-Partei Nicolas A. Rimoldi kommentierte einen 20 Minuten Artikel auf Twitter:

Screenshot: twitter.com/narimoldi

Co-Präsident Junge SVP Kanton Bern und verurteilter Rassist Nils Fiechter schrieb auf Twitter indirekt über den Grossen Austausch:

Screenshot: twitter.com/nilsfiechter

Hermann Lei, Mitglied im Grossen Rat des Kantons Thurgau und SVP-Fraktionspräsident schrieb in der radikal rechten Schweizerzeit:

Screenshot: schweizerzeit.ch

Die Schweizer Demokraten posteten auf Facebook:

Screenshot: facebook.com/profile.php?id=100064279196310

Ehemaliger SVP-Nationalrat und Verschwörungserzähler Claudio Zanetti twitterte bereits mehrmals über den angeblichen Bevölkerungsaustausch:

Screenshot: twitter.com/zac1967

Die Neue Rechte in der Schweiz
In der Schweiz ist die Neue Rechte organisatorisch nur ganz am Rande mit der extremen Rechten verbunden. Dies ist teilweise auf die vergleichsweise schwache Position der extremen Rechten in der schweizerischen politischen und intellektuellen Landschaft zurückzuführen. So geht es der Neuen Rechten in der Schweiz in erster Linie darum, den Konservatismus ideologisch zu erneuern, indem sie ihre eigenen Elemente hinzufügt.15

Die Bemühungen der Neuen Rechten, sich als innovative Denkströmung zu etablieren, haben in der Schweiz nur begrenzte Erfolge erzielt. Hingegen hat sie grösseren Einfluss als Lieferantin von Ideen und Diskursen für rechtspopulistische Parteien, wie in den vorherigen Beispielen ersichtlich.

Grossen Einfluss hatte dabei James Schwarzenbach. In den späten 1960er-Jahren fungierte der Zürcher (in seiner Jugend ein Bewunderer der nationalsozialistischen Ideologie) als geistiges Vorbild für eine aufstrebende Generation junger rechter Intellektueller. Gemeinsam mit seiner Partei, der Nationalen Aktion (heute Schweizer Demokraten), trat er durch eine Volksinitiative gegen Überfremdung in Erscheinung. Diese Initiative forderte eine Beschränkung des Ausländeranteils auf maximal zehn Prozent der Wohnbevölkerung in allen Kantonen. Im Fall der Annahme hätten zahlreiche ausländische Bewohnerinnen und Bewohner der Schweiz, vor allem Italienerinnen und Italiener, das Land verlassen müssen.16

«Republikaner» James Schwarzenbach. Foto: Keystone, PHOTOPRESS-ARCHIV

Seine Anhänger glaubten, dass er eine ideologische Erneuerung der schweizerischen Rechten ermöglichen könne und dass er ein breites Bündnis konservativer Kräfte vereinen würde, um dem politischen und medialen Linkstrend entgegenzuwirken.

Besonders ab 1979 übernahm die Publikation «Schweizerzeit», die aus dem Vorgängerblatt «Der Republikaner» von James Schwarzenbach hervorging, eine bedeutende Rolle als Brücke zur deutschen Neuen Rechten. Die Zeitung spielte eine entscheidende Rolle bei der Etablierung deutscher neurechter Autoren in der Schweiz. Ende der 1980er-Jahre begann die «Schweizerzeit» zunehmend mit der «neuen» Schweizerischen Volkspartei (SVP) zusammenzuarbeiten und unterstützte deren Positionen zur Einwanderung und Aussenpolitik. Dadurch entwickelte sich die Zeitung zu einem Sprachrohr der «neuen» SVP und verband politische Interessen der Partei mit kulturellen und intellektuellen Ansprüchen.15

SECTION II

Die Identitären

Die Identitären oder die Identitäre Bewegung (IB), eine in mehreren europäischen Ländern vertretene rechtsextreme Organisation, sehen sich selbst als die Jugendbewegung der Neuen Rechten. Die IB will sich durch auffällige und medienwirksame Aktionen ein zeitgemässes Image verleihen. Dadurch möchte sie sich zumindest oberflächlich von traditionellen Neonazis abgrenzen und ein jüngeres Publikum ansprechen. Obwohl die Präsentation modern wirkt, behalten die Ideen klassischen rechtsextremen Charakter.17

Die Bezeichnung “Identitär” nutzen sie für eine reaktionäre Identitätspolitik. Im Sinne der Neuen Rechten sehen sie die eigene «Identität» bedroht durch innere und äussere “Feinde”.

Mit einer sprachlich moderaten Ausdrucksweise, Distanzierungen vom Nationalsozialismus und Gewalt sowie einer zeitgemässen, aktionistischen Inszenierung über soziale Medien streben rechtsextreme Gruppen danach, anschlussfähig zu werden.

Trotzdem lässt sich die demokratiefeindliche und antihumanistische Ausrichtung der jungen Rechtsradikalen anhand ihrer Entstehungsgeschichte, ideologischen Verbindungen zur Konservativen Revolution, Unterstützung des Ethnopluralismus, Verknüpfungen zur Neonazi-Szene und gewaltsamen Angriffen auf Andersdenkende klar erkennen.

Die Strategie
Innerhalb der Neuen Rechten setzen die Identitären gezielt auf den Bereich der Metapolitik und streben an, Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung auszuüben. Metapolitik ist eine Strategie, bei der kulturelle und intellektuelle Einflüsse genutzt werden, um langfristig politische Veränderungen zu bewirken. Statt direkt auf Gesetze zu zielen, geht es darum, Ideen, Werte und Normen in der Gesellschaft zu beeinflussen, um später politische Akzeptanz zu schaffen. Dies geschieht oft durch Medien, Bildung und Kultur.

Die Identitären versuchen sich nicht im herkömmlichen rechtsextremen Sinne zu präsentieren. Ihr öffentliches Erscheinungsbild zeichnet sich vielmehr durch Elemente der Popkultur, Aktionismus, Jugendlichkeit und eine professionelle Aussenwirkung aus.3

Die «Génération Identitaire» in den Alpen. Foto: R. Lafabregue/AFP

Die Gruppe «Wackre Schwaben» in Untertürkheim. Foto: twitter.com/wackre_schwaben

Das Zentrum ihrer politischen Aktivitäten bildet der Aktionismus und dessen Präsentation in den Medien. Der Erfolg ihrer Aktionen basiert nicht nur auf ihrer unmittelbaren Bedeutung, sondern vor allem auf ihrer digitalen Verbreitung und der dadurch erzeugten Aufmerksamkeit. Intern wird dies als «Schock- und Sympathieaktionen» bezeichnet, um eine öffentliche Reaktion zu erzeugen.

Die Identitären haben es teilweise geschafft, durch auffällige Aktionen in der Öffentlichkeit präsent zu sein. Dabei haben sie subversive Taktiken von linken Aktivistinnen und Aktivisten übernommen.

Die Bandbreite der Aktionen der Identitären umfasst das Verteilen von Flugblättern, Inszenierung auf der Strasse, Flashmobs, das Anbringen von Aufklebern und Plakaten, das Aufziehen von Bannern, Demonstrationen sowie die Unterbrechung von Veranstaltungen oder Diskussionen. Die meisten ihrer Aktionen erfordern lediglich geringe Vorbereitungen, Organisation und Logistik und werden oft von einer kleinen Anzahl von Personen durchgeführt. Häufig finden mehrere Veranstaltungen am selben Tag in unmittelbarer Nähe statt, um eine hohe Aktionsbereitschaft zu zeigen.

Neben diesen modernen Aktionsformen integrieren die Identitären auch traditionelle Veranstaltungen wie Feiern zur Sommersonnenwende, gemeinsames Singen von Volksliedern am Lagerfeuer, Heimatwanderungen und Kampfsportveranstaltungen in ihr Repertoire. Diese Elemente entsprechen dem vertrauten Spektrum rechtsradikaler Praktiken. Die Identitären kombinieren diese traditionellen rechtsradikalen Elemente mit neuen, subversiven Aktionen, um sowohl Anhänger aus der rechtsradikalen Szene als auch junge «Patrioten» mit konservativen Weltanschauungen anzusprechen.

Bild: twitter.com/vorstadtaktivi1

Die neue Generation der Neuen Rechten setzt popkulturelle Elemente auf zweifacher Weise ein: Sie bedienen sich bekannter Aspekte aus Musik, Film sowie Kunst und kreieren zugleich eigene Produktionen mit popkulturellen Bezügen. Diese Strategie zielt darauf ab, Jugendliche und junge Erwachsene anzusprechen, während sie gleichzeitig einen zeitgemässen und harmlosen Eindruck vermitteln möchten.

Die Identitären präsentieren sich als jugendlich und richten sich hauptsächlich an junge Erwachsene im Alter von 18 bis 30 Jahren. Obwohl sie auch ausserhalb dieses Spektrums Unterstützung finden, liegt ihr Hauptfokus auf der Gewinnung aktiver Mitglieder innerhalb dieser Altersspanne. Die führenden Mitglieder der Identitären sind meist zwischen 25 und 30 Jahren alt. Trotz ihrer neokonservativen bis faschistischen Ideologie nutzen sie gezielt soziale Medien, um junge Menschen anzusprechen.

Der bisherige Erfolg der Identitären lässt sich teilweise auf ihre geschickte Nutzung moderner Medien zurückführen. Sie haben eine eigene, leicht erkennbare Corporate Identity entwickelt, um ihre Aktionen und Ansichten zu verbreiten. Bilder werden von einem Medienteam gezielt erstellt und bearbeitet, um ihre Botschaft effektiv zu vermitteln.

Anders als ältere Vertreter der Alten und Neuen Rechten setzen die jungen Rechtsextremen nur selten auf gedruckte Medien wie Flyer. Stattdessen nutzen sie vermehrt verschiedene Online-Kommunikationskanäle, wie Text- und Videoblogs, Musikvideos auf YouTube sowie soziale Netzwerke wie Facebook, Instagram und Twitter. Auf diese Weise verbreiten sie Inhalte, die rassistisch, antisemitisch und verschwörungserzählerisch sind, und das in einem jugendlichen und zeitgemässen Stil. Dies trägt zu ihrer metapolitischen Strategie bei, mit der sie politische Diskurse beeinflussen möchten. Sie zielen darauf ab, Begriffe und Bilder in eine rechtsgerichtete Richtung zu lenken und dabei gezielt Emotionen anzusprechen.

Bild: fm4v3.orf.at

Ein weiteres zentrales Element ihrer Strategie ist die bewusste Annahme einer Opferrolle. Die Gruppe inszeniert sich als Opfer politischer Gegner von Flüchtlingen und der allgemeinen Einwanderung. Diese Opferrolle basiert im Wesentlichen auf der Präsenz von Nichteuropäern, wodurch jeder Einwanderer automatisch als Feind betrachtet wird. 

Die Identitären nutzen diese Taktik, um sich selbst als die Guten darzustellen, obwohl ihre wiederholten Fälle von Gewalt gegen Andersdenkende und ihre rechtfertigende Haltung zu solcher Gewalt diese Darstellung widerlegen. Durch die übertriebene Beschreibung von Bedrohungsszenarien wie dem sogenannten “Grossen Austausch” schaffen sie ein vermeintliches Gefühl der Gefahr für die weisse europäische Bevölkerung und deren Kultur.18

In Reaktion auf diese vermeintliche Bedrohung inszenieren die Identitären eine Antwort, indem sie interne Wehrsportübungen und Selbstverteidigungsübungen durchführen. Diese Massnahmen sollen einen “Reconquista”-Kampf gegen die angeblich “multikulturelle Bedrohung” unterstützen (“Reconquista” im Sinne der spanischen Christen im Mittelalter, welche die von muslimischen Herrschern besetzte iberische Halbinsel zurückeroberten). Dabei präsentieren sie ihre Gewalttätigkeiten als reine Notwehr. Diese behauptete «Notwehr» bereits zahlreiche Opfer gefordert. Die bewusste Übernahme der Opferrolle stärkt die Bereitschaft ihrer Mitglieder, persönliche Opfer für die Bewegung zu bringen.

Die Identitären heute
Inzwischen ist die ursprüngliche Identitäre Bewegung gescheitert und existiert seit 2020 praktisch nicht mehr. Dieser Entwicklung liegen Trends der Anonymisierung und Dezentralisierung zugrunde, die sich über einen längeren Zeitraum abzeichneten. Diese Veränderungen wurden durch eine erzwungene Strategieänderung der Identitären Bewegung aufgrund ihrer anhaltenden Misserfolge ausgelöst. Diese Trends sind das Resultat von Recherchen, Aufklärungsarbeit, staatlicher Repression und dem Entfernen der Gruppe von Social-Media-Plattformen.19

Der am Anfang erwähnte Massenmord durch Brenton Tarrant spielte hierbei eine wichtige Rolle. Tarrant war von der Identitären Bewegung in Europa begeistert und begann, sie finanziell zu unterstützen. Dies machte die Verbindung zwischen Gewalt und rechtsterroristischen Ideologien der Identitären Bewegung deutlich offensichtlich.20

Heute verfügen die Accounts der Identitären Bewegung kaum noch über Reichweite und sprechen fast ausschliesslich ihre eigene Anhängerschaft an. Problematisch dabei jedoch ist, dass die vermeintliche Anonymität auch eine Atmosphäre begünstigt, die zu mehr Gewalt und Radikalität führen kann.

Zahlreiche Identitäre setzen ihren Kulturkampf jedoch in anderen Strukturen fort. Dies sind: Neurechte Stammstrukturen, Parteien, kulturkämpferische Strukturprojekte und Aktionsgruppen.19

Das Netzwerk der IB nach ihrer Transformation. Visualisierung: In Anlehnung an identitaereinbochum.noblogs.org

Aus den neurechten Stammstrukturen ging die IB ideologisch und strategisch hervor, auch wenn sich die Hauptakteure aus der Neonaziszene rekrutierten. Einige Identitäre sind nun erneut in den Kreisen um Götz Kubitschek in Schnellroda aktiv. Diese Kreise umfassen nach wie vor den Antaios-Verlag, die Zeitschrift Sezession, das Institut für Staatspolitik, den Verein EinProzent sowie die Deutschen Burschenschaften.

Einige Identitäre haben sich von vorpolitischen bzw. metapolitischen Tätigkeiten verabschiedet und arbeiten nun direkt in Parteien. In Deutschland ist die AfD ein willkommener Start für die Rechtsextremen. Besonders die noch weiter rechtsaussen positionierte Jungpartei der AfD, die Junge Alternative kooperiert offen mit Identitären, wie beispielsweise auch mit Schweizern wie der Jungen Tat. Auch das österreichische Pendant zur AfD, die FPÖ, arbeitet mit Identitären zusammen.21

Weiter gründeten einige führende Köpfe der IB neue Strukturprojekte. Der “Kulturkampf von rechts” gilt weiterhin als strategische Ausrichtung. Es sind Projekte wie Magazine, Filme, Musik oder Computerspiel.

Das Game “Heimat Defender” des Spielestudios “KVLTGAMES”, finanziert vom Verein “EinProzent”, soll für den Nachwuchs bei den Identitären sorgen. Im rechtsextremen, homophoben und antisemtischen Spiel werden Vertreter der neurechten als Helden und Widerstandskämpfer gefeiert. So unter anderem Martin Sellner, Björn Höcke oder Götz Kubitschek.22

Der ehemalige Neonazi und ehemalige Chef der Identitären Bewegung Österreich Martin Sellner ist wohl der bekannteste Leader der Identitären. Hier kommt der Name Brenton Tarrant wieder zum Vorschein. Nicht nur spendete der Massenmörder rund 1500 Euro an die Identitären, sondern er stand auch direkt im Kontakt mit Sellner. Die Österreichische Bundesregierung prüft seitdem ein Verbot der Identitären. Dagegen positioniert sich die FPÖ.23

Martin Sellner. Foto: Keystone, Christian Bruna

Im Januar 2023 kündigte Sellner an, dass seine aktivistische Phase bei den Identitären zu Ende geht. Vielmehr konzentriere er sich jetzt auf den “Infokrieg”.

Die Identitäre kleiden sich heute modebewusst und doch bewusst rechtsextrem. Statt Springerstiefel und Bomberjacke ist vor allem der identitäre Online-Shop für Kleidung «Phalanx Europa” beliebt. Dieser bietet quasi rechtsextreme Memes gedruckt auf T-Shirts an. Zu sehen sind etwa Sprüche wie “Still not loving Antifa” anstatt “Still not loving Police” oder “Niemals auf Knien”, welcher die Black-Lives-Matter-Bewegung referenziert.24

Im Stile der alten Identitären Bewegung führen weiterhin vereinzelte Aktionsgruppen Inszenierungen durch. Da die Gruppen mittlerweile nicht mehr zentral organisiert sind, verlieren die Aktionen an Wiedererkennungswert und damit auch an Strahlkraft. Diese sektenartigen Gruppen wirken maximal nach innen. Als neues Vorbild dient dabei die paramilitärisch organisierte, offen antisemitische und rassistische Gruppierung “Patriot Front” aus den USA.19

Die «Patriot Front» aus den USA. Foto: Nathan Posner/Anadolu Agency/Getty Images

Einige der aktiven Aktionsgruppen verteilt und doch lose vernetzt im deutschsprachigem Raum:

Identitäre in der Schweiz
In der Schweiz wurde im Februar 2013 die Identitäre Bewegung Schweiz gegründet. Diese übernahm die Corporate Identity sowie das Logo der deutschsprachigen Organisation. In Erscheinung trat diese allerdings nur selten. Mittlerweile wurde die IB Schweiz zu “Alpenrevolte” rebranded. Kopf dieser Gruppe ist Stefan Truniger.25

Neben der Jungen Tat (nächstes Kapitel mehr dazu) existiert mit dem “Collectif Nemesis” eine reine identitäre Frauengruppe. Das ursprünglich französische Kollektiv transportiert ihr antifeministisches und menschenfeindliches Bild der gewalttätigen (muslimischen) Migranten mittels eines angeblich feministischen Schleiers. Die Aktionen der “CH Nemesis” beschränken sich zum grossen Teil auf die Westschweiz, dort posten sie ihre Aktionen auf der Strasse medienwirksam im Internet. Dies sind vor allem Flyer- und Plakataktionen.26

Neben den Aktionsgruppen gibt es in der Schweiz auch Parteien, Politiker und Journalisten mit identitärer Gesinnung. 

Der wohl bekannteste Fall wurde kürzlich wieder einmal besonders deutlich. Nicolas A. Rimoldi, Gründer der massnahmenkritischen Bewegung Mass-Voll und mittlerweile Präsident der gleichnamigen Partei, strotz nur so von rechtsextremem Gedankengut. Seine identitäre Neuausrichtung wird auf mehreren Ebenen ersichtlich: So enthält das offizielle Parteiprogramm der Mass-Voll-Partei neurechte Begriffe und Formulierungen wie “Remigration”, weiter spricht Rimoldi immer wieder über den Bevölkerungsaustausch, offensichtlich war dies auch bei seiner Teilnahme an einer identitären Remigrations-Demo in Wien oder bei einen “provokanten” Post auf Instagram über seinen Aufenthalt in Adolf Hitlers Geburtsort Braunau am Inn und schliesslich zeigt die gegenseitige Bewunderung mit dem Chef-Strategen der Identitären Martin Sellner die Radikalisierung von Rimoldi.27

Nicolas A. Rimoldi an einer «Remigrations-Demo» in Wien. Foto: Thomas Witzgall

Und die SVP?
Die SVP als neurechte Partei zu bezeichnen, wäre wohl falsch. Ziel einer neurechten bzw. identitären Partei wie beispielsweise der AfD ist es die (direkte) Demokratie zu ihren Gunsten zu manipulieren, durch Propaganda und Metapolitik, um schliesslich wenn an der Macht einen “neuen” Staat zu errichten. Nach AfD-Politiker wie Björn Höcke definitiv faschistisch.

Die SVP ist bereits die grösste Partei im Land. Das schweizerische politische System lässt eine komplette Machtübernahme nicht zu. Trotzdem arbeitet die SVP seit Jahren eifrig an der Diskursverschiebung, aber auch der realpolitischen Verschiebung nach rechts. Und erreicht damit immer noch ein rassistisch motiviertes und ein neoliberales bzw. libertäres Wählerklientel. Die SVP lässt schlussendlich kaum Lücken, in die sich Identitäre stürzen und behaupten könnten.3

Trotzdem übernehmen einige Politikerinnen und Politiker der Partei neurechte Sprache und Ideologien. Wie die Screenshots im ersten Kapitel unter anderem zeigen.

Der lauteste Provokant der SVP, Andreas Glarner, spricht zwar nicht vom Grossen Austausch oder Remigration, dafür aber von “Masseninvasion von Migranten” oder “kulturfremde Migration”. Glarner scheut sich auch nicht als Gastautor im identitären Magazin “Direkt” über den “Genderwahn” zu schreiben.28

Auch wenn die SVP und Junge SVP nicht auf neurechten faschistischen Ideologien fusst, so zeigen sich die beiden Parteien doch immer wieder offen gegenüber Rechtsextremen. Auch in den eigenen Reihen.

Das Schweizer Sprachrohr der Neuen Rechten
Die bereits erwähnte rechtsradikale Zeitung “Schweizerzeit” steht inhaltlich nahe der SVP. So wurden bereits einigen Politikerinnen und Politikern eine Plattform geboten, wie unter anderem Christoph Mörgeli, Natalie Rickli oder Andreas Glarner. Die Schweizerzeit steht dabei in engem Kontakt zur deutschen Neuen Rechten. Mitarbeiter der neurechten Zeitschrift “Criticon” sind regelmässige Autoren.29

Beim Blick in die Zeitung heute fällt vor allem der Autor Anian Liebrand häufig rechtsradikal auf. Der ehemalige Junge SVP Präsident und mittlerweile Geschäftsführer einer Politikagentur, des Egerkinger Komitee (Verantwortlich für Minarett- und Verhüllungsverbots-Initiative) sowie Mitglied der Geschäftsleitung der Partei EDU Schweiz verbreitet wie kein zweiter neurechte Propaganda in der Schweizerzeit. Begriffe wie Bevölkerungsaustausch oder Remigration verwendet der 34-jährige beinahe wie ein Besessener. Folgendes Zitat vom 15. Juli 2022 stammt aus der Schweizerzeit:30

«Langsam kommt man nicht mehr darum herum anzunehmen, dass der «Austausch» der eigenen Bevölkerung durch Migranten politisch gewollt sein muss. Viel mehr als unnachgiebig aufzuklären und aufzurütteln können wir, die wir nicht an den Schalthebeln der Macht sitzen, leider nicht tun. Wird nicht umgehend die Trendwende eingeleitet, steuert die Schweiz, wie wir sie noch gekannt haben, leider auf ihren unaufhaltsamen Untergang zu.»

SECTION III

Die Junge Tat

«Familie statt Gender-Ideologie”, so die Aufschrift eines Transparents der rechtsextremen Gruppe Junge Tat. Etwa zehn vermummte Männer des selbsternannten Aktionskollektivs versammelten sich Mitte Oktober 2022 vor dem Tanzhaus, einem Kulturzentrum in Zürich, um gegen eine Dragqueen-Vorlesestunde für Kinder lauthals zu protestieren. Nachdem die Medien über den Angriff ausführlich berichteten, forderte Samuel Balsiger, Fraktionschef der SVP im Zürcher Stadtparlament, die Absage der Vorlesestunde. Etwas später veröffentlichte zudem die SVP Schweiz auf Twitter ein Foto mit der Unterschrift: “Genug vom Gender-Terror? Jetzt SVP-Mitglied werden”. Die Aktion sowie die darauffolgende Reaktion der Politik zeigt eindrücklich die vorpolitische Strategie der Jungen Tat.1

Die «Junge Tat» in Zürich. Foto: twitter.com/jungetat

Laut den Recherchen der Tageszeitung ist die Gruppe “derzeit die dynamischste und am schnellsten wachsende rechtsextreme Gruppierung.” Die Zeitung nennt drei Faktoren, die zum Aufstieg der Jungen Tat beigetragen haben: Erstens durch die Unterstützung von älteren Neonazigruppen wie Blood & Honour oder Eisern Luzern. Zweitens die zumindest oberflächliche Distanzierung der Gruppe von direkten Neonazi-Parolen und zuletzt die Corona-Massnahmen.31

Wie bereits erwähnt präsentiert sich die Junge Tat im Stile der Nachfolgeorganisationen der Identitären Bewegung: modern und heimatverliebt, Social-Media-affin und kampfsporterprobt. “Sport, Tat, Bildung” lauten die drei Grundsätze der Jungen Tat. Die Aktionen werden dabei in qualitativ hochwertig geschnittenen Videos dokumentiert und mit modernen elektronischen Beats unterlegt.

Journalist Fabian Eberhard meint gegenüber Belltower.News: “Rein vom Personenpotenzial her ist die Junge Tat zwar vernachlässigbar. Doch medial ist die Gruppe zurzeit präsent wie keine andere.” Und weiter: “Die Junge Tat schafft es, den Rechtsextremismus für junge Leute wieder attraktiv erscheinen zu lassen“.32

Doch woher kommt die Junge Tat?
Die Junge Tat entstand aus den neonazistischen Gruppen “Eisenjugend Schweiz” und “Nationalistische Jugend Schweiz”. NS-Verehrung, weisse Vorherrschaft und der kommende Rassenkrieg stehen im Zentrum der “Eisenjugend”-Ideologie. Der damalige Chef der “Eisenjugend Schweiz” Manuel Corchia ist heute der führende Kopf der Jungen Tat. Während dieser Zeit wurde er wegen Rassendiskriminierung und illegalen Waffenbesitzes verurteilt. Wie zu Beginn erwähnt, wurde im Telegram-Kanal der “Eisenjugend” unter anderem auch das Manifest des Rechtsterroristen von Christchurch geteilt.1

Durch die neonazistische Vergangenheit knüpfte die Junge Tat neue Verbindungen zu rechtsextremen Gruppierungen, wie das internationale Netzwerk “Blood and Honour”, deren bewaffneter Arm “Combat 18” sowie den “Hammerskins”.

Bei einer Gedenkfeier für die Schlacht von Sempach im Juli 2021 erschienen bis zu neunzig Neonazis. Darunter die Junge Tat und die genannten “Verbündeten”. Dort durfte der erst zwanzigjährige Manuel Corchia die Hauptrede halten. Ein deutliches Zeichen für den rasanten Aufstieg der Jungen Tat hin zu einer der führenden rechtsextremen Gruppen der Schweiz.31

Mittlerweile hat sich die Junge Tat von den älteren Neonazis getrennt. Laut der WOZ war es offenbar “zu einem Streit um die Führung gekommen”.1

Heute beschreiben Corchia und die Junge Tat ihre neonazistische Vergangenheit als “Jugendsünde”. Was man halt so macht in seiner Jugend:

Screenshot aus einem Propagandafilm der «Eisenjugend». Bild: belltower.news

Ab November 2020 erscheinen auf dem Telegram-Kanal schliesslich die ersten Propagandavideos unter dem Rebranding: Die Junge Tat. Zum harten Kern gehören nach Belltower.News knapp 20 Mitglieder.32

Wie für die Identitären ist auch für die Junge Tat die Internetpräsenz der zentralste Faktor. Die wichtigsten Onlinekommunikationsmittel sind die Social-Media-Kanäle der Gruppe. Die Junge Tat ist auf Twitter, Telegram und YouTube präsent. Auf YouTube werden vor allem die Aktionsvideos der Gruppe veröffentlicht. Der Instagram-Account der Jungen Tat wurde gesperrt.

Seit dem Rebranding gibt sich die Junge Tat also als zivilisierte Patrioten. Ganz nach ihren Vorbildern den Identitären. So übernehmen sie Strategie, Kommunikation und Ideologie der Neuen Rechten.

Die Überschneidungen werden deutlich, wenn wir die erwähnten vier Alleinstellungsmerkmale der Identitären heranziehen:33

Die Junge Tat besteht aus Jugendlichen und zielt mit ihrer Kommunikation und Ästhetik auf eine jüngere Zielgruppe. 

Wie die Identitären orientiert sich die Junge Tat an linken Aktionsformen. Mit Guerilla-Taktiken wie den Aktionen, insbesondere der Befestigung von Transparenten oder den Aufkleber-Touren, zielt die Junge Tat durch leichten Aufwand auf eine maximale (mediale) Aufmerksamkeit.

Der direkte Vergleich: Die «Junge Tat» links und «Wackre Schwaben» rechts. Foto: twitter.com/jungetat, twitter.com/wackre_schwaben

Popkulturelle Referenzen verwendet die Junge Tat vereinzelt, viel eher aber zeigt die Videoästhetik der Gruppe Einflüsse aus der Internetkultur. Dies wenn der Stil von Youtuberinnen und Youtubern sowie Influencerinnen und Influencer übernommen wird.

Die Junge Tat verwendete bisher mehrere Designs. Sowohl das Logo als auch die Farbwahl ändert sich über die Jahre. Trotzdem ist klar zu erkennen, wie die Gruppe versucht, ein einheitliches Erscheinungsbild zu kreieren. Das Logo der Jungen Tat zeigt übrigens die rechtsextreme Ausrichtung der Gruppierung.

Ersichtlich wird zudem auch, wie die Junge Tat die identitären Ideologien übernimmt und weiterverbreitet. Die Übernahme findet etwa statt, wenn die Gruppe sich offen auf den Ethnopluralismus bezieht, wenn sie den Fokus auf die Metapolitik setzt oder wenn die Gruppe Codewörter der Neuen Rechten, wie “Remigration” oder “Bevölkerungsaustausch” verwendet. Die Verbreitung wiederum findet statt, wenn die Junge Tat Vorlesungen und Vorträge von neurechten Autoren und Büchern organisiert.

Ein eigener Podcast von den führenden Köpfen der Jungen Tat, Manuel Corchia und Tobias Lingg, zeigt zudem einen Einblick, wie die Junge Tat die hiesige Rechte einschätzt.34

Bezüglich der Parteienlandschaft: Hier sei ganz klar die SVP, zusammen mit der Jungen SVP, die in letzter Zeit “sehr positiv auffallen” würde. Die Parolen der Parteien zeigen, es gehe ganz klar in die “richtige Richtung”.

Hier ist wohl vor allem diese Parole der SVP gemeint:

Medienmitteilung der SVP. Bild: svp.ch

Vor allem Andreas Glarner weiss die Junge Tat zu schätzen. Dass der Nationalrat von der rechtsextremen Jungen Tat mittlerweile als “Remigrationschef” betitelt wird, spricht für sich.

Weiter seien die EDU und die Schweizerdemokraten zu erwähnen. Besonders die christlich-fundamentalistische EDU gäbe bezüglich der Familienpolitik immer mal wieder “gute Parolen” raus.

Parole der EDU. Bild: edu-schweiz.ch

Wie sieht es mit der Gegenöffentlichkeit, also “alternativen Medien” aus? Hier sei vor allem die Weltwoche und ihr Verleger Roger Köppel ein alternatives Aushängeschild. Auch die neurechte Schweizerzeit sei ein ziemlich “gutes Blatt”. Durch Corona habe sich auch noch einiges weiter aufgetan, besonders zu erwähnen sei “StrickerTV”, “Tellnews” (von Mass-Voll) und der identitäre “Heimatkurier”. 

Zu bemängeln sei hingegen die fehlende rechte Theoriearbeit in der Schweiz. Hier wünscht sich die Junge Tat wohl einen neurechten Thinktank wie das Institut für Staatspolitik in Deutschland. 

Die rechtsextreme Junge Tat sieht also positive Trends in der schweizerischen Politik- und Medienlandschaft. Folgender Tweet des antifaschistischen Recherchenetzwerks “FarbundBeton” fasst dies treffend zusammen: 

Ein durchaus “spannender” Podcast, der klar aufzeigt, wie die SVP zusammen mit ihrer Jungpartei die Junge Tat abholt. Da ist es nicht verwunderlich, wenn da klarer zusammengearbeitet wird. Es wird versucht, zu normalisieren und zu verharmlosen der eigenen Taten.35

Verbindungen JSVP zu Junge Tat?
Laut antifa.ch bleibt “das Verhältnis zwischen Teilen der Jungen SVP und der Jungen Tat innig”.36 Die Bewunderung der SVP seitens der Jungen Tat ist offensichtlich. Neben den Aussagen im Podcast zeigen dies auch Teilnahmen an Anlässen der SVP wie einem Vortrag von Roger Köppel oder am “Buurezmorge” in Bern Bümpliz. In ihren Aktionen bedient sich die Junge Tat dem Vokabular der SVP und der Jungen SVP. Deutlich wird dies bei einer Aktion in Basel, in welcher das schwarze Schaf der bekannten SVP-Kampagne übernommen wurde:

Parole der EDU. Bild: edu-schweiz.ch

Weiter schreibt antifa.ch, dass vor allem der Junge SVP-Präsident David Trachsel die Partei auf die gleiche Linie wie die Junge Tat bringt. Ideologisch gäbe es zwischen der Jungen Tat und der Jungen SVP “nur noch wenig Differenzen”.

SECTION IV

Perspektiven

Was also tun gegen die (ab und zu) verdeckte und doch klar rechtsextreme Sprache und Strategie?

In ihrem ausführlichen Werk “Die Identitären – Handbuch zur Jugendbewegung der Neuen Rechten in Europa” sehen Julian Bruns, Kathrin Glösel und Natascha Strobl, die Logik der Neuen Rechten zu verstehen und ihre Symbole und Sprache zu identifizieren, als die wichtigsten Voraussetzung für Gegenmassnahmen und Entkräftungsstrategien angesehen werden.3

Was es also unter anderem braucht:

Die Förderung von Aufklärung und Bildung über die Gefahren von rechtsextremen Ideologien ist eine essentielle Massnahme. Durch Workshops, Seminare und öffentliche Diskussionen kann das Bewusstsein für neurechte Ansichten und ihre Auswirkungen geschärft werden. 

Ein eher negativer Eindruck über den aktuellen Stand in der Schweiz entsteht durch die kaum vorhandenen politischen Bildungsangebote. Viele der Informationen aus diesem Text, besonders bezüglich der Strategie und Ideologie der Neuen Rechten, stammen entweder aus dem Ausland oder von antifaschistischen Recherchenetzwerken. 

Weiter gilt es neurechte und identitäre Propaganda bzw. Strategien zu erkennen und zu decodieren. Medienberichte, welche die Identitäre als “Nazis” beschreiben, spielen eher den Rechtsextremen in die Karten. Ihr Ziel ist die Aufmerksamkeit, egal ob positiv oder negativ. Besser dagegen ist darzustellen, wie und weshalb die Identitären so agieren, wie sie agieren.

Gegenstimmen aus der Gesellschaft: Neurechte wollen ihre rassistische, sexistische, homo- und transphobe Sprache und Ideologie in die Mitte der Gesellschaft vorbringen. Wenn dann immer weniger bis kaum Gegenwehr vorhanden ist, können sich die Rechtsextremen immer sicherer fühlen und radikaler werden. Zivilgesellschaftliche Aktivitäten können Toleranz, Pluralismus und Demokratie fördern.

Gesetze gegen Hate Speech, Volksverhetzung und extremistische Propaganda sollten angewandt und verschärft werden. Nach Fabian Eberhard dürfen in der Schweiz gewalttätige Rechtsextreme grundsätzlich nicht elektronisch überwacht werden, ganz im Gegensatz zu Islamisten.32

Parteien und Institutionen müssen gegen solche Ideologien klar Stellung beziehen. Vor allem die SVP, als grösste Partei der Schweiz, muss sich von rechtsextremen Individuen und Gedankengut trennen. Wenn dies nicht von der SVP selbst heraus geschieht, benötigt es Druck von anderen Parteien oder aus der Zivilgesellschaft.

Quellen